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ti&m: Die Valiant ist auf Wachstumskurs und baut – gegen den Trend – ihr Filialnetz aus. Was ist der Grund dafür? Müsste Valiant nicht viel mehr Fokus auf die digitalen Kanäle legen?

 Markus Gygax: Banking funktioniert immer noch sehr stark über die physische Nähe zum Kunden. Vor allem im KMU-Bereich, wo wir seit jeher sehr stark sind. Gerade bei komplexen Geschäften wollen die Kundinnen und Kunden immer mit einem Menschen 1:1 sprechen, weil sie in finanziellen Themen häufig unsicher sind. Wenn ich als Bank also wachsen will, muss ich meine physische Präsenz ausweiten – so einfach ist das.

 

Aber der Aufbau von Filialen ist enorm teuer.

Die Filialen verändern sich stark: Das Schaltergeschäft wird abgebaut, was die Aufbaukosten für neue Filialen deutlich reduziert. Der Fokus liegt auf dem Vertrieb – Beratung und Verkauf von Finanzprodukten für Retailkunden und KMU. Gleichzeitig beschäftigt uns die Kostensituation natürlich sehr. Daher vereinfachen wir unsere Verarbeitungsprozesse und automatisieren so weit wie möglich.

 

Und welche Rolle spielen die digitalen Kanäle dabei?

Die Digitalisierung verändert das Bankgeschäft nachhaltig, da bin ich sicher. Aber die Veränderung geschieht nicht so schnell, wie man noch vor ein paar Jahren dachte. Die Disruption findet schon statt, sie dauert nur länger als man vor 2 bis 3 Jahren vermutete. Wie gesagt: Für komplexe Fälle brauchen die Kunden noch immer einen Menschen. Die meisten Interaktionen zwischen Kunden und Bank werden mittel- bis langfristig aber digital abgewickelt.

 

Wie viel Zeit bleibt den Schweizer Retailbanken, um sich anzupassen?

Das langfristig angelegte Geschäftsmodell des Bilanzgeschäftes schützt die Banken generell. Zudem hat sich in den vergangenen Jahren auch das Kundenverhalten als sehr stabil erwiesen, die Kunden sind treu. Das Vertrauen ist nach wie vor gross, genauso wie die Zufriedenheit der Kunden. Den Retailbanken bleibt also noch genug Zeit, um sich an die Veränderungen anzupassen.

 

Wie müssen sich Schweizer Retailbanken aufstellen, um die digitale Transformation zu überstehen?

Ich sehe zwei Handlungsfelder: Auf der einen Seite muss das bestehende Geschäftsmodell digitalisiert werden, auf der anderen Seite muss das Geschäftsmodell erweitert oder erneuert werden.

 

Fangen wir mit Ersterem an: Wie kann das bestehende Geschäftsmodell digitalisiert werden?

Das heisst für mich in erster Linie, dass bestehende Prozesse vereinfacht und dem Kunden im Self Service angeboten werden müssen. Hier müssen aber die Erwartungen realistisch bleiben: Wir haben als erste Bank in der Schweiz das digitale Onboarding angeboten, also eine vollständig digitale Kontoeröffnung. Heute machen wir 3 bis 4 Prozent aller Kontoeröffnungen über diesen Kanal. Das ist fast vernachlässigbar. Langfristig muss man diese Option jedoch anbieten, da führt kein Weg dran vorbei. Die Zahlen werden mit der Zeit steigen. Eine solche Entwicklung gab es bei vielen neuen Dienstleistungen, wie etwa beim E-Banking. Die Kundinnen und Kunden verändern ihren Umgang mit Geld nur langsam.

 

Bestehende Prozesse zu vereinfachen, ist meistens keine einfache Aufgabe.

Nein, ganz und gar nicht. Wir haben da ein klares Vorgehen. Wir können Prozesse für Kunden erst vereinfachen, wenn diese für unsere Mitarbeitenden auch einfach sind. Daher fangen wir mit dem Mitarbeiterarbeitsplatz an, also mit den Tools, mit denen die Mitarbeitenden täglich arbeiten. Die Arbeit soll für sie so einfach wie möglich sein. Erst dann können wir auch die Prozesse und die Dienstleistungen für die Kunden vereinfachen.

 

Nun zum zweiten Handlungsfeld: Wie verändert die Valiant ihr Geschäftsmodell? Nur wenigen etablierten Unternehmen ist dies bisher gelungen.

Indem wir Dinge einfach ausprobieren. Wir werden etwa im kommenden Jahr in St. Gallen ein neues Angebot im Hypothekarbereich testen. Konkret beraten wir die Kunden wie bisher, vermitteln ihnen aber auch Hypotheken von anderen Anbietern. Das heisst, wir nehmen die Geschäfte nicht auf unsere Bilanz. Wenn das Projekt erfolgreich sein sollte, schauen wir, wie wir dies auf den Rest der Bank ausrollen können. Für mich wäre zum Beispiel auch ein hybrides Modell denkbar.

 

Wie würde ein solches hybrides Modell aussehen?

Einfache Fälle, bei denen wir preislich nicht konkurrenzfähig sind, vermitteln wir an Dritte. Die komplexen Fälle nehmen wir auf die eigene Bilanz. Dies würde sowohl Risiken minieren als auch die Eigenkapitalsituation vereinfachen.

 

Und was machen Sie, wenn das Modell nicht erfolgreich sein sollte?

Dann brechen wir die Übung wieder ab und bieten den Kunden wie bisher einfach Valiant-Hypotheken an. Im April 2018 haben wir das beispielsweise auch mit unserem KMU-Portal getan, das offenbar in dieser Form keinem Kundenbedürfnis entsprochen hat. Das stellten wir wieder ein und suchten neue Lösungen.

 

Wie kann Valiant diese Kultur des Trial-and-Error etablieren?

Das ist für mich ganz klar ein Top-Down-Prozess. Wir haben das Thema Vertriebskanäle in der Geschäftsleitung verankert. Dort beschliessen wir die Massnahmen und setzen diese um. So verändern wir die Bank. Dazu brauchen wir natürlich die richtigen Leute.

 

Das Vertrauen der Kunden in die Banken ist hoch und das Geschäftsmodell hochgradig stabil. Die Margen sind zwar unter Druck, aber dies wird durch steigende Volumen im Finanzierungsmarkt überkompensiert. Wo sehen Sie letztlich die Gefahr, die den Schweizer Banken droht?

Die Kunden gewöhnen sich einerseits an digitale Dienstleistungen, da muss man einfach dabei sein. Damit kann sich eine Bank zwar nicht differenzieren, sie muss den Standard aber erfüllen. Andererseits ist seit einiger Zeit ein Prozess im Gang: Viele Ertragsquellen von Banken sind in den letzten 20 Jahren versiegt. Die Gemeindefinanzierung ist ein typischer Fall, das Leasing von Maschinen ein anderer. Im Hypothekarbereich verlieren die Banken gegenwärtig die preissensitiven Kunden, weil wir nicht mit den Preisen von Versicherungen und Pensionskassen mithalten können. Jetzt kommen Plattformen wie Revolut, die ein weiteres Stückchen von unserem Ertrag im Kreditkarten- und Devisen-Geschäft wegfressen werden. Deshalb müssen sich Banken Gedanken über neue Geschäftsmodelle machen, damit sie am Schluss nicht zum Nischenanbieter werden, der noch die komplexen Hypothekarfälle abwickelt.

 

Hat Revolut das Potenzial, den Markt durcheinanderzuwirbeln?

Revolut ist ein spannendes Beispiel. Auf der einen Seite machen es sich diese Plattformen natürlich einfach: Wenn man etwas gratis anbietet, gewinnt man Kunden. Aber wie sich das später monetarisieren lässt, ist natürlich fraglich.

 

Monetarisiert werden sollen ja in erster Linie nicht die Bankdienstleistungen, sondern vor allem die Daten.

Ja, das ist ja das Spannende an Revolut. Es ist keine Bank, sondern ein IT-Dienstleister, der Banking betreibt. So eine Firma ist in der Lage, Banking neu zu denken. Aber das funktioniert eben nur über grosse Skalen und Nutzerzahlen. So eine Plattform kann nur auf dem internationalen Level funktionieren. In der Schweiz wären nur ein paar grosse Banken wie Raiffeisen, Post- Finance und die UBS in der Lage, die notwendige Anzahl Kunden zu generieren.

 

Und wie kann sich die Valiant vor solchen Plattformen schützen? Die Gefahr droht ja, dass die Kundenschnittstelle verloren geht.

Die müssen wir natürlich vehement verteidigen. Im Moment sind wir in der komfortablen Lage, dass wir mit dem Online-Banking über eine hohe Frequenz verfügen. Für mich sind Open-API-Initiativen wie PSD2 essenziell. Wir müssen als Bank in der Lage sein, dem Kunden das Leben zu vereinfachen, indem wir verschiedene Plattformen und Bankverbindungen des Kunden konsolidieren. Dies wird nicht zuletzt im KMU-Bereich wichtig werden. Weiter müssen wir prüfen, wie wir uns in neue Ecosysteme wie Klara einklinken. Auch wenn wir dort die direkte Kundenschnittstelle verlieren, können wir unsere Dienstleistungen in einem für Kunden sinnvollen Kontext erbringen.

 

Und wie differenziert sich eine Retailbank in Zukunft?

Das ist eine Frage, die uns sehr beschäftigt. Im Moment ist die Antwort klar: Über die lokale Verankerung der Bank und die Nähe zu den Kunden. Aber in einer digitalen Welt suchen wir, abgesehen vom Preis, noch nach den entscheidenden Differenzierungsmerkmalen einer Bank