Die Schweiz und Singapur haben starke Finanzsektoren. Welche Herausforderungen sehen Sie für die beiden Länder bei der weiteren Digitalisierung des Finanzwesens, insbesondere im Hinblick auf möglichen Missbrauch?
Andrea Weber: Das Potenzial der Digitalisierung im Finanzbereich ist gross. Sie erlaubt es, die Effizienz, Effektivität und Transparenz zu erhöhen, die Kosten zu senken, Informationsasymmetrien zu verringern und neue Partner und Kunden zu gewinnen. Aber es gibt auch Risiken: Finanzzentren sind ein attraktives Ziel für Cyberangriffe. Entsprechend wichtig ist es, die Infrastruktur im Finanzbereich wirksam zu schützen und in die Sicherheit zu investieren. Entscheidend ist auch, dass alle involvierten Parteien eng zusammenarbeiten und sich regelmässig austauschen. In einer digitalen Welt stellen sich zudem neue Anforderungen an den Datenschutz. Es ist wichtig, vorhandene Daten optimal zu nutzen und gleichzeitig zu verhindern, dass sensible Informationen in falsche Hände geraten. Es ist zentral, dass Kunden dem System vertrauen. Schliesslich gilt es auch im Zusammenhang mit Technologien wie beispielsweise der Blockchain potenzielle Risiken der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung im Auge zu behalten. Es ist wichtig, diesen Risiken gebührend Rechnung zu tragen.
Um den Risiken, die die Digitalisierung für den Finanzsektor mit sich bringt, wirksam zu begegnen, bedarf es gut ausgebildeter Fachkräfte. Die Nachfrage nach solchen Experten ist gross. Die Schweiz kann auf ihr ausgezeichnetes Bildungssystem bauen und neue Talente ausbilden. Gleichzeitig muss sie sicherstellen, dass sie für Spezialisten attraktiv bleibt.
Welche konkreten Kooperationsprojekte oder Initiativen zwischen der Schweiz und Singapur gibt es aktuell im Bereich FinTech und Digitalisierung?
Regula Kurzbein: Die Schweiz und Singapur führen einen regelmässigen Finanzdialog. In diesem Rahmen tauschen die zuständigen Behörden der beiden Länder Meinungen und Erfahrungen aus und vertiefen die Zusammenarbeit in Bereichen von gegenseitigem Interesse, einschliesslich FinTech und Digitalisierung. Zwischen den Finanzdialogen finden auch Treffen auf technischer Ebene statt, bei denen Spezialisten konkrete Fragestellungen diskutieren. Diese enge Zusammenarbeit trägt Früchte. Die Schweiz und Singapur gestalten gemeinsam das jährlich stattfindende Point Zero Forum in Zürich und die Schweiz ist jeweils prominent am Singapore Fin- Tech Festival vertreten. Bei diesen internationalen Veranstaltungen kommen Teilnehmende aus Wirtschaft, Forschung und Behörden zusammen, um sich über die neuesten Innovationen und Entwicklungen im Finanzsektor auszutauschen – mit dem gemeinsamen Ziel, die Finanzökosysteme voranzubringen.
Andrea Weber: Die beiden Länder arbeiten auch in anderen Projekten eng zusammen. Zum Beispiel im Projekt «Mariana», wo es um den grenzüberschreitenden Handel und die Abwicklung von Transaktionen in digitalen Zentralbankwährungen geht. Oder im Projekt «Guardian». Hier handelt es sich um eine gemeinsame Initiative von politischen Entscheidungsträgern und der Finanzindustrie, mit der die Liquidität und Effizienz der Finanzmärkte durch die Tokenisierung von Vermögenswerten verbessert werden soll.
«Bei internationalen Veranstaltungen wie dem Point Zero Forum in Zürich oder dem Singapore FinTech Festival kommen Teilnehmende aus Wirtschaft, Forschung und Behörden zusammen, um sich über die neuesten Innovationen und Entwicklungen im Finanzsektor auszutauschen und gemeinsam die Finanzökosysteme voranzubringen.»– Regula Kurzbein
Während die Schweiz für ihre konservative und gründliche Herangehensweise bekannt ist, ist Singapur für seine pragmatische und schnell anpassbare Regulierung berüchtigt. Welcher Ansatz ist besser?
Regula Kurzbein: Die Finanzmarktregulierung der Schweiz ist technologieneutral, risikobasiert, verhältnismässig und prinzipienbasiert. Die Herangehensweise kann als gründlich, aber sicherlich nicht als konservativ bezeichnet werden. Zusammen mit dem prinzipienbasierten Ansatz erlaubt es die Technologieneutralität, rasch auf Innovation zu reagieren.
Andrea Weber: Die Schweiz war denn auch eine der ersten Jurisdiktionen, die in der Bankenregulierung die Innovation gefördert (FinTech-Lizenz) und einen bewilligungsfreien Raum eingeführt hat (regulatorische Sandbox). Auch die rasche Verabschiedung des Bundesgesetzes zur Anpassung des Bundesrechts an Entwicklungen im Blockchain-Bereich war eine Pionierleistung der Schweiz. Zudem prüft die Schweiz – und das darf man als gründlich bezeichnen –, ob bestehende Finanzmarktgesetze mit neuen, innovativen Geschäftsmodellen kompatibel sind. Der Schweizer Ansatz lässt dem Privatsektor den Raum, um innovativ tätig zu sein. Die Rolle des Regulators besteht darin, für optimale Rahmenbedingungen zu sorgen, währenddem die Aufsichtsbehörde Risiken erkennen und überwachen soll. In der Schweiz verfolgen wir einen marktbasierten Ansatz und setzen weniger auf staatlich subventionierte Programme. Singapur ist sehr offen für internationale Kooperationen und Partnerschaften im Finanzsektor und fördert zudem Innovationen mit gezielten Projekten und Investitionen.
Die Aufgaben der Schweizerischen Nationalbank und der Finanzmarktaufsichtsbehörde werden in Singapur von ein- und derselben Institution ausgeübt, der Monetary Authority of Singapore. Welche Vorund Nachteile sehen Sie in der Struktur von Singapur im Hinblick auf die Finanzstabilität und auf eine effektive Regulierung?
Regula Kurzbein: Der Ansatz Singapurs ist effizient und effektiv. Die zuständige Behörde kann unter Umständen einfacher koordinieren und bei Bedarf rasch entscheiden, da sie weniger Anspruchsgruppen konsultieren muss. Demgegenüber wird eine breit abgestützte Massnahme, zu der sich die verschiedenen Stakeholder äussern können, womöglich besser verstanden, angenommen und umgesetzt.
Wenn Sie die Finanzmarktregulierung der Schweiz und Singapurs vergleichen: Was kann die Schweiz von Singapur lernen?
Regula Kurzbein: Wie erwähnt definieren die Behörden in der Schweiz und in Singapur ihre Rolle teilweise unterschiedlich. Doch das ist zweitrangig. Entscheidend ist, dass die Schweiz und Singapur über etablierte Finanzplätze mit exzellentem Ruf verfügen. Beide Länder haben ein Interesse an einem gut regulierten und beaufsichtigten Finanzplatz, um dessen Ansehen zu wahren sowie Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit zu stärken. Sie verfolgen dasselbe Ziel – und kooperieren wie erwähnt in diversen Bereichen.
«Der Schweizer Ansatz lässt dem Privatsektor den Raum, um innovativ tätig zu sein. Die Rolle des Regulators besteht darin, für optimale Rahmenbedingungen zu sorgen.»– Andrea Weber
Die Schweiz ist nach wie vor das grösste Offshore-Finanzzentrum der Welt. Aber Singapur holt auf. Was sind die Gründe, dass Singapur zusammen mit Hongkong der Schweiz den ersten Rang streitig macht?
Regula Kurzbein: Der asiatische Markt wächst und ist für Anleger attraktiv. Die Finanzplätze Singapurs und Hongkongs sind mittendrin. Sie verfügen im asiatischen Raum über einen direkteren Marktzugang und kennen die kulturell geprägten Wünsche und Befindlichkeiten der regionalen Kundschaft sehr gut. Sie profitieren ferner von staatlichen Anreizprogrammen, Innovationsförderung und attraktiven Rahmenbedingungen in ihren Ländern. Auch die Schweiz hat zahlreiche Vorzüge. Ihren weltweit ausgezeichneten Ruf in der Vermögensverwaltung verdankt sie unter anderem der politischen und wirtschaftlichen Stabilität sowie der Währungssicherheit, die sie mit dem Schweizer Franken bietet. Kunden schätzen die hohe Qualität und Expertise in der Vermögensverwaltung, die individuelle, massgeschneiderte Dienstleistungen ermöglichen. Die Schweiz verfügt zudem über hohe Standards beim Datenschutz und ist führend bei der Umsetzung betrieblicher Standards betreffend Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Die Schweiz ist auch deshalb attraktiv, weil sie trotz einer strengen Regulierung eine transparente und effiziente Rechtsstruktur aufweist. Ein starker Finanzplatz ist für die Schweizer Volkswirtschaft und ihre internationale Standortqualität entscheidend. Die Schweiz hat daher ein grundlegendes Interesse daran, auch in Zukunft zu den weltweit führenden, modernen und global tätigen Finanzplätzen zu gehören – unterstützt und begleitet durch eine solide, dynamische Finanzmarkt- und Wirtschaftspolitik.
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