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Wie ist Innovation bei Swisscom organisiert?

Es gibt jedenfalls nicht DIE Innovationsabteilung bei uns. Für mich gibt es zwei Stufen von Innovation: In einer ersten sollen Innovationen ein Unternehmen wettbewerbsfähiger machen, indem es effiziente Prozesse entwickelt, um das Geschäft so einfach wie möglich zu gestalten. Daran arbeiten wir bei Swisscom täglich im laufenden Betrieb. Die zweite Stufe ist die Innovation in der Firma selbst mit der Entwicklung von neuen Kundenservices, die ein Bedürfnis abdecken und für die Kundinnen und Kunden bereit sind, zu bezahlen. Also Innovationen, die sich kommerzialisieren lassen und eine Win-win-Situation schaffen. Bei uns bedeutet das neue Produkte für die Kundinnen und Kunden und neuen Umsatz für Swisscom. Heute machen wir 70 Prozent des Umsatzes mit Produkten, die es vor zehn Jahren noch nicht gegeben hat. Diesen Innovationsprozess steuern wir bei Swisscom zentral und in enger Abstimmung mit der Strategie. So können wir das Portfolio an möglichen Innovationsinitiativen überblicken, gezielt investieren und unsere Kräfte einteilen.

Wie wird Innovation bei der Swisscom gelebt? Wann wird Innovation inhouse gemacht, und wann wird mit externen Partnern zusammengearbeitet?

Eine Unternehmenskultur, zu der gehört, sich laufend weiterzuentwickeln, ist der Nährboden für Innovation. Damit haben wir bei Swisscom eine lange Vergangenheit. Wir haben die Prepaid-Karte erfunden, waren beim Roaming ganz vorne dabei, haben mit Mobile Connect als Erste eine Mobilfunk-Datenkarte für Notebooks auf den Markt gebracht. Das sind Innovationen, die aus Swisscom heraus entstanden sind. Unser Intrapreneurship-Programm ‹Kickbox›, bei dem alle Mitarbeitenden ihre Ideen einbringen und weiterentwickeln können, liefert beispielsweise wertvolle Impulse. Natürlich arbeiten wir teilweise mit ausgewählten Partnern zusammen oder kaufen zusätzliche Skills oder einen neuen Marktzugang ein. Gerade wenn man in ein neues Geschäftsfeld eintritt, ist das sehr sinnvoll. Eine der grossen Herausforderungen bleibt für uns die Grösse der Schweiz. Während internationale Tech-Konzerne für globale Märkte innovieren, beschränken wir uns weitgehend auf den Schweizer Markt. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns auf innovative Möglichkeiten fokussieren, die für uns interessant sind.

2016 hat Swisscom das Swisscom Digital Lab auf dem Campus der EPFL gegründet. Welche Projekte sind aus der Zusammenarbeit mit der ETH Lausanne entstanden? Wie ist die Zusammenarbeit zwischen der Swisscom und der Hochschule organisiert?

In über 130 Masterarbeiten haben Studierende der EPFL zusammen mit dem Swisscom Digital Lab untersucht, wie Netzanlagen optimiert, der Kundenservice mit KI unterstützt oder personalisierte Empfehlungssysteme verbessert werden können. Am direktesten erleben unsere Kundinnen und Kunden das Ergebnis dieser Kooperation in der Kommunikation mit unserem digitalen Assistenten Sam am Telefon, im Chat, per E-Mail oder Brief. Die Auswirkungen von anderen Projekten erfahren wir dagegen nur indirekt. Zum Beispiel, wenn Städteplanerinnen und -planer dank anonymisierter und aggregierter Mobilitätsdaten den Standort von Spielplätzen besser planen können oder wenn diese Daten in Kombination mit Luftqualitätsdaten bessere umweltpolitische Entscheidungen ermöglichen. Projekte wie die erste Hyperloop-Teststrecke in Europa, an denen EPFL und Swisscom gemeinsam forschen, werden dagegen erst in ferner Zukunft schnelles und klimaschonendes Reisen ermöglichen. Allen Projekten ist gemein, dass Master- und PhD-Studentinnen und -Studenten von ihren EPFL-Professorinnen und -Professoren und von Swisscom-Teams betreut werden. Es findet ein reger Ideenaustausch in beide Richtungen statt und innovative Lösungen können schnell umgesetzt werden.

Ihr habt sieben Innovationsfelder identifiziert. Welches steht im Moment im Fokus? Welche Innovationen werden in den nächsten Jahren vorangetrieben?

Wir befassen uns aktuell intensiv mit künstlicher Intelligenz. Diese Technologie wird extrem wichtig für verschiedene Themen und hat Wechselwirkungen mit anderen Innova­tionsfeldern. Wir sehen beispielsweise deutlich mehr KI-basierte Cyberangriffe, was unsere Cybersecurity Services beeinflusst. Womit wir schon beim anderen grossen Thema sind: Vertrauen oder eben Digital Trust. Gerade mit dem steigenden Einfluss von künstlicher Intelligenz, die beispielsweise auch verblüffend echte Avatare hervorbringt, stellt sich mehr und mehr die Frage, wem Nutzerinnen und Nutzer vertrauen und wie Authentizität und Gültigkeit in der digitalen Welt eindeutig festgestellt werden können. Identitätsüberprüfungen oder Alterskontrollen erfolgen heute oft noch analog und mit Medienbrüchen. Wir sehen eine grosse Chance darin, Innovation in einer vertrauenswürdigen Art und Weise verfügbar zu machen.

«In Israel fliesst für jeden in Forschung und Entwicklung investierten Franken fast das Eineinhalbfache in den Verkauf der marktreifen Lösung. In der Schweiz sind es 14 Rappen»

– Roger Wüthrich-Hasenböhler

ChatGPT hat gerade KI revolutioniert. Jetzt geht es darum, dass Firmen die Technologie nutzbar machen und Anwendungsfälle finden. Wo sehen Sie potenzielle Anwendungsfälle?

Schauen wir uns generative KI-Algorithmen wie ChatGPT von OpenAI oder Bard von Google mal aus Swisscom-Sicht an: Mit einem intelligenten Algorithmus könnte man bei einer Supportanfrage über unseren Chatbot he­rausfinden, was die Ursache ist – und schnell Lösungsvorschläge anbieten, die sonst jedes Mal von Neuem manuellen Aufwand und Abklärungen erfordern. Intelligente Algorithmen könnten direkt eine Lösung vorschlagen und vielleicht sogar das Problem lösen, bevor es die Kundin oder der Kunde überhaupt bemerkt. Das ist ein gutes Beispiel für die disruptiven Effekte von KI: Ein Newcomer macht das Geschäft auf eine komplett andere Art, mit einer besseren Kunden-Experience und zu einem Bruchteil der Kosten, und stellt so ein erfolgreich bestehendes Geschäft vor grosse Herausforderungen. Wir müssen rasch Erfahrungen sammeln, damit wir die Chancen sehen, die solche Systeme bieten, aber auch die Gefahren und Risiken sorgfältig abschätzen. Kompetenz auf diesem Gebiet ist zentral. Unsere Privat- und unsere Firmenkunden erwarten, dass wir sie in diesen Fragestellungen unterstützen können.

Will man im Bereich KI und Big Data innovativ sein, ist die Datenmenge entscheidend. Die Swisscom ist in verschiedenen Bereichen Marktführerin. Ein grosser Vorteil?

In verschiedenen Bereichen Marktführerin in der Schweiz, ja. Die treibenden Kräfte hinter KI und Big Data arbeiten allerdings mit immens viel grösseren Datenmengen. Ausserdem sind die Datenmengen in unseren Netzen und Rechenzentren zwar verhältnismässig gross, die Nutzung dieser Daten aber richtigerweise klar geregelt und eingeschränkt.

Sie waren sieben Jahre Chief Digital Officer. Welche innovativen Projekte konnten Sie bei Swisscom vorantreiben und umsetzen?

Vor sieben Jahren war die digitale Transformation das grosse Thema. Unternehmen haben die Wirkung der neuen Technologien erkannt. Es sind disruptive Businessmodelle entstanden und es haben sich Möglichkeiten eröffnet, die es bis anhin nicht gegeben hat. Nehmen Sie Blockchain: Jahrelang war die Infrastruktur zentral. Und jetzt kommt plötzlich eine dezentrale Technologie auf, die reale Werte digitalisiert, sie handelt und speichert und neue Währungen erschafft. Wie überführt man eine erfolgreiche Firma in diese digitale Welt mit ganz neuen Möglichkeiten? Solche Überlegungen standen im Mittelpunkt der Strategie bei Geschäftsleitung und Verwaltungsrat vieler Firmen. Es herrschte eine Aufbruchstimmung, Firmen untersuchten, wie sie ihr Geschäft transformieren und neue Geschäftsfelder erschliessen können.

Die Swisscom gehört zu den innovativsten Unternehmen der Schweiz. Aber auch zu den grössten. Können kleine Firmen überhaupt noch innovativ sein? Oder geht das nur, wenn man gross genug ist, um ein eigenes Innovationsteam zu beschäftigen, das sich nur der Innovation widmet? Oder halt so klein wie ein Start-up, dass ohne Legacy eine Idee vorantreibt?

Das können sie auf jeden Fall. Es gibt immer Innovationsnischen. Es braucht dafür nicht ein Innovationsteam, sondern Fachleute, die mit Lust und Freude an der Weiterentwicklung arbeiten und eine Idee als Produkt oder Service zur Marktreife bringen. Die Schweiz gehört gemessen an Forschung und Entwicklung zu den innovativsten Ländern der Welt. Viele dieser Ergebnisse lassen sich kommerzialisieren. Von grossen Unternehmen, aber auch von Hidden Champions und kleineren Nischen-Playern. Entscheidend sind die richtigen Leute. Denn Technologie und das Geschäft werden heute und morgen von Menschen gestaltet. Von anderen Innovationsleadern wie Israel oder Singapur müssen wir lernen, mutiger in die Kommerzialisierung von Innovationen zu investieren. In Israel beispielsweise fliesst für jeden in Forschung und Entwicklung investierten Franken fast das Eineinhalbfache in den Verkauf der marktreifen Lösung. In der Schweiz sind es 14 Rappen. Ich sehe hier eine Riesenchance für die Schweiz. Denn wir haben die Leute, die Innovationen und eigentlich auch die finanziellen Mittel. Ich will darum in meiner nächsten Karrierephase dazu beitragen, die Schweiz international als Deeptech Nation zu etablieren und Innovationen und insbesondere ihre Kommerzialisierung zu fördern. Damit wir auch 2030 noch zu den innovativsten Ländern gehören, wettbewerbsfähig bleiben, attraktive Arbeitsplätze haben und so auch einen Teil zur Sicherung des Wohlstands beitragen.

Das war ein Beitrag aus dem ti&m special «Innovation»

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