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Was ist Ihre ökonomische Definition von Innovation?

Es gibt unterschiedliche Definitionen, die verschiedene Ebenen und Perspektiven einschliessen. Grundsätzlich leben wir in einem Wirtschaftssystem, das durch Konkurrenz und Wettbewerb geprägt ist. Innovation ist ein integraler Teil dieses Wirtschaftssystems: Firmen müssen permanent innovativ sein, um langfristig zu überleben. Innovation schliesst sämtliche Tätigkeiten wie die Lancierung neuer Produkte, die Verbesserung von Prozessen usw. ein, um am Ende einen Marktvorteil zu erzielen. Das ist aber eher die Unternehmersicht. Es gibt auch sehr viel innovative Grundlagenforschung, bei der die Gewinnabsicht nicht im Zentrum steht.

Innovation ist also nicht intrinsisch vorhanden, sondern durch das System bedingt? Sozusagen ein Innovationszwang?

Ich würde sagen, Innovation ist beides. Der Mensch hat Freude an Erneuerungen, er entwickelt gerne neue Verfahren und neue Produkte. Innovationen haben ja auch zu erheblichen Verbesserungen in ganz vielen Bereichen geführt. Doch weil Innovation in unserem System so wichtig ist, um längerfristig Gewinn zu machen, kommt ihr fast eine religiöse Verehrung zu. Viele Firmen sagen gerne, wie innovativ sie sind – ohne zu wissen, wozu man eigentlich innovativ ist und zu welchem konkreten Zweck die Innovation dient. Also ein sehr kritikloser Gebrauch des Begriffs. Und ich sehe auch, dass das Wort ‹Innovation› das Wort ‹Wachstum› im Gebrauch teilweise abgelöst hat, weil es positiver konnotiert ist.

Zur Lage der Schweiz finden sich widersprüchliche Angaben: Auf der einen Seite ist die Schweiz in den internationalen Innovationsrankings weit vorne plat­ziert, und man liest regelmässig von unserer blühenden Start-up-Landschaft. Auf der anderen Seite ergab die Innovationskraftanalyse der Schweizer Industrie 2021 eine Konzentration der Forschung & Entwicklung (F&E) bei immer weniger Unternehmen. Die Anzahl der Schweizer Unternehmen ohne F&E hat deutlich zugenommen, und KMU geben weniger Geld für F&E aus.

Ich beurteile die Innovationsfähigkeit der Schweiz grundsätzlich positiv. Die FHNW ist regelmässig mit KMU im Kontakt, und ich finde es immer aufs Neue beeindruckend, wie innovativ Schweizer Firmen, auch die kleineren, sind. Forschung wird immer teurer, und KMU können nicht im grossen Stil darin tätig sein. Darum konzentriert sich die Forschung zunehmend bei den grossen Firmen. Es geht aber nicht immer um grosse Innovationen und Forschungsbudgets, sondern um Anpassungen im Kleinen. Und da ist die Schweiz wirklich sehr innovativ, auch weil viele KMU auf dem Weltmarkt tätig sind und so der globalen Konkurrenz ausgesetzt sind. Bei innovativen Projekten muss man sich fragen: Warum wollen wir innovativ sein? Was wollen wir erreichen? Häufig ist man planlos innovativ. Am Ende führen solche Vorhaben meist dazu, dass eine neue Technologie eingeführt wird. Und das hat an sich ja noch nicht viel mit Innovation zu tun.

Was bedeutet es eigentlich zu sagen, die Schweiz ist innovativ? Haben wir einfach gute Rahmenbedingungen, die innovative Leute anziehen, die dann hier Start-ups gründen?

Leider verkommt Innovation immer öfter zur Rhetorik. Wir sind auf Sicherheit bedacht, wir wollen keine Experimente. So reden wir gerne über Innovation, in der Praxis wird sie aber weder gefördert noch belohnt. Es geht darum, möglichst keine Fehler zu machen und nicht dafür verantwortlich zu sein, wenn etwas schiefläuft. Gerade in der Technologie holen wir uns schon sehr viel Brain­power von aussen. Immer weniger Menschen studieren MINT-Fächer, an der ETH sind bei gewissen Masterstudiengängen über 50 Prozent Ausländerinnen und Ausländer. Es ist gefährlich, zu einer Art Real Madrid der Forschung zu werden, wo man versucht, sich die besten Forscherinnen und Forscher der Welt zusammenzukaufen, aber selbst immer weniger zur Forschung in der Lage ist.

Können Innovationen die grossen Probleme der Welt lösen? Setzen wir zu viel Hoffnung in sie?

Ob Klimaerwärmung oder andere Umweltprobleme: Jedes Problem wird zum Anlass genommen, innova­tiver zu sein. Das birgt neue Möglichkeiten zum Wachstum – und zu neuen Problemen. Innovationen in der Energie­effizienz bspw. führten nicht zu weniger Energieverbrauch. Die Wohnflächen pro Person wurden laufend ausgedehnt, was eben auch möglich und wirtschaftlich rentabel war, weil sich die Energieeffizienz verbesserte. Innovationen müssen sich rentieren, und so macht der bekannte Rebound-Effekt viele Vorteile von an sich positiven Innovationen wieder zunichte. Innovationen finden nie in einem interessenfreien Raum statt: Man will mit Innovationen Geld verdienen, und auch sogenannte grüne Innovationen sind Teil unseres Wirtschaftssystems. Gibt es Instrumente, diesen Rebound-Effekt zu umgehen? Durch entsprechende Preissetzung kann man diesen Effekt bremsen. Nehmen wir das vorhin angesprochene Beispiel: Wenn die steigende Energieeffizienz beim Heizen dazu führt, dass man einen Quadratmeter Wohnfläche mit weniger Energie auf dieselbe Raumtemperatur bringen kann, dann trägt dies mit dazu bei, dass die Wohnfläche immer weiter ausgedehnt wird. Wird aber die Energie gleichzeitig teurer, etwa durch eine CO2-Steuer, dann wird dieser Effekt gebremst.

Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen freiem Markt und Staat? Viele wichtige Innovationen wie das Internet wurden nicht von Privaten erfunden, und gerade die Armee hat von der Waffentechnik über die medizinische Versorgung von Verwundeten weit mehr Erneuerungen hervorgebracht als privat finanzierte Initiativen.

Sehr viele Innovationen kommen vom Staat, denn an sich ist nur er in der Lage, Grundlagenforschung zu finanzieren. Es ist auch allgemein akzeptiert, dass der Staat Grundlagenforschung betreiben soll. In der angewandten Forschung wird vor allem darauf geschaut, wirtschaftlich von Innovationen zu profitieren und diese durch Patente zu schützen. Das Argument «Regulierungen töten den Innovationsgeist» stimmt so in seiner Absolutheit nicht. Die Wirtschaft will in erster Linie Gewinne erzielen und dies führt unter realen Marktbedingungen keineswegs automatisch dazu, dass auch das Gemeinwohl steigt. Daher muss der Staat schauen, dass dieses Wachstum der Gesellschaft dient. Aber klar: Zu viel Bürokratie ist für den Innovationsgeist auch nicht förderlich. Innovationen dienen Firmen auch dazu, eine gewisse Marktmacht zu erreichen. Firmen sind per se nicht am Wettbewerb interessiert. Wenn man sagt, Wettbewerb fördert Innovation, muss man die Wirtschaft regulieren, damit dieser Wettbewerb überhaupt spielt. Überlässt man die Wirtschaft sich selber, führt das nicht zu einer besonders innovativen Wirtschaft.

Zum Abschluss: Was war für Sie die grösste Innovation der letzten 30 Jahre?

Künstliche Intelligenz und die darauf aufbauenden selbstlernenden Algorithmen. Diese Entwicklung wird die Gesellschaft am meisten prägen und führt zu einem sich verselbstständigenden Wirtschaftssystem. Algorithmen sind die besseren Kapitalisten als Menschen: Sie können aufgrund der grossen Datenmengen während 24 Stunden am Tag permanent alles optimieren. Wir werden mehr und mehr Entscheide an solche Systeme delegieren: Im Unterschied zu heute werden in Zukunft Algorithmen auf Vergleichsseiten wie Comparis das für mich beste Angebot finden und gleich auch noch den Vertrag abschliessen. Das macht das Leben natürlich einfacher und angenehmer, aber der Konsument und die Konsumentin werden abhängig und verlieren die Hoheit über ihre Entscheidungen.

Das war ein Beitrag aus dem ti&m special «Innovation»

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