Zum Inhalt springen

Wie beeinflusst die Digitalisierung die Zusammenarbeit bei euch in der Staatskanzlei Bern? Kann man da von einem Kampf HR vs. IT sprechen?
Als klassisches Querschnittsthema betrifft die Digitalisierung alle Abteilungen und nicht nur die IT – auch wenn dieser bei der technischen Umsetzung natürlich eine zentrale Rolle zufällt. Da Impulse und Ideen nicht ausschliesslich von der IT ausgehen, gibt es bei Digitalisierungsthemen auch keinen Kampf zwischen den Abteilungen bei uns. Wir sehen sie als gemeinsame Herausforderung, als gemeinsame Reise. Digitalisierung ist eine Denkweise – und keine Methode – um gewisse Ziele zu erreichen. Die Veränderungen, die wir anstreben, sind nicht nur technologischer Natur, sondern beinhalten auch kulturelle Aspekte. Diese hat der Kanton Bern in seiner Digitalisierungsstrategie adressiert. Hier kann das HR unterstützen und so einen wichtigen Beitrag in der Kulturentwicklung leisten, beispielsweise bei Führungsthemen und in der Umsetzung von neuen Arbeitsformen. Die Digitalisierung setzt Synergien für diese interdisziplinäre Zusammenarbeit frei, die wir zukünftig noch besser nutzen können. Agile Umsetzung von Kunden- und Bürgerbedürfnissen oder die Entwicklung von Prototypen mit Design Thinking sind solche Beispiele.

Anwendungsbeispiel für die Digitalisierung der Verwaltung

Wie genau treibt ihr im Kanton Bern die Digitalisierung voran?
Mit dem Aufbau der Geschäftsstelle Digitale Verwaltung wurden diverse Gremien zum regelmässigen Austausch und zur Förderung der Digitalisierung im Kanton aufgebaut. In der laufend erweiterten kantonalen Schwerpunktplanung definieren wir jeweils die konkreten Digitalisierungsschwerpunkte der kommenden Jahre. Zudem tauschen wir uns mit anderen Gemeinden, Kantonen und dem Bund über ihre Erfahrungen und Projekte aus. Der institutionalisierte Austausch findet zum Beispiel in der Schweizerischen Informatikkonferenz, via E-Government Schweiz oder in der interkantonalen Fachgruppe E-Government der Schweizerischen Staatsschreiberkonferenz statt.

In Zukunft soll der Dialog zwischen allen Staatsebenen via Digitale Verwaltung Schweiz (DVS) erfolgen. Zugleich findet im Kanton Bern wie auch schweizweit schon seit längerem ein reger Austausch zur Digitalisierung im HR und den Herausforderungen für die Arbeitswelt statt. Hier sind Best Practices gefragt, welche auch die Grenzen der Digitalisierung in der Betreuung und der Führung von Mitarbeitenden aufzeigen. Ganz nach dem Motto «sowohl als auch» anstelle von «entweder oder».

Themen der Digitalisierung im Kanton Bern

Welche Themen beschäftigen euch in der Fachgruppe?
Die verschiedenen Portalstrategien der Kantone, zukunftsfähige IAM-Lösungen oder die Resultate der Architekturprüfung von EasyGov sind nur einige der zuletzt besprochenen Themen. Aus HR-Sicht stehen Fragen zur Gestaltung von zukünftigen Arbeitswelten, die Entwicklung und Bindung von Mitarbeitenden und die Herausforderungen des demografischen Wandels unter dem Aspekt der Digitalisierung im Vordergrund.

Wie können öffentliche Verwaltungen Agilität leben?

Agilität ist immer wieder ein Schlagwort, das im Kontext der Digitalisierung fällt. Gleichzeitig haben Projekte in der öffen­tlichen Hand häufig lange Zeitachsen. Ist das ein Widerspruch zu Agilität?
Wenn Agilität als die Fähigkeit verstanden wird, sich flexibel, proaktiv und vorausschauend zu verhalten, um notwendige Veränderungen rechtzeitig einzuleiten, dann sehen wir keinen Widerspruch zwischen Agilität und der öffentlichen Verwaltung. Unsere Kunden, also die Bevölkerung und die Wirtschaft, wünschen sich effiziente, zeit- und ortsunabhängige Dienstleistungen. Wie in der Privatwirtschaft auch, versuchen wir die Bedürfnisse unserer Kunden bestmöglich zu befriedigen. Agile Methoden helfen uns dabei, dies im Arbeitsalltag umzusetzen. Aus HR-Sicht müssen wir uns natürlich die Frage stellen: Zieht es Menschen mit einem agilen Mindset eher in die Privatwirtschaft? Und falls ja, wie holt man Personen mit diesem Mindset in die Verwaltung? Wir sind überzeugt, die meisten Mitarbeitenden haben realisiert, dass man auch bei der öffentlichen Verwaltung Projekte anstossen und Dinge bewegen kann, nicht nur in der Privatwirtschaft.

«Jeder Change beginnt mit den richtigen Personen in den richtigen Positionen.»

Kantonale Digitalisierungsprojekte sind komplex

Der Unterschied zwischen Staat und Privatwirtschaft ist also gar nicht so gross?
Nicht so gross, wie er manchmal wahrgenommen wird oder wahrgenommen werden möchte. Aber gewisse Dinge laufen bei uns schon anders ab. Die öffentliche Verwaltung ist beispielsweise stark von politischen Prozessen abhängig, die Sessions-Kadenz prägt den Rhythmus. Auch ein Wahljahr führt immer zu Veränderungen, die bedacht werden müssen. Die Komplexität von kantonalen Digitalisierungsprojekten ist generell gross, da viele Beteiligte auf unterschiedlicher Staatsebene involviert sind. Wie bei allen Projekten gilt: Nicht alles auf einmal machen. In kleinen Schritten vorangehen, damit betroffene Mitarbeitende die Themen auch verdauen können.

Bei der Digitalisierung der Verwaltung muss der Mensch im Fokus stehen

Die Digitalisierung der Verwaltung ist in vollem Gang, das unterstreicht der Bund auch in seiner E-Government-Strategie. Wie kann ein Change, der nicht von allen gewünscht ist, bei den Mitarbeitenden abgestützt werden?
Auch in der Wirtschaft werden viele Änderungen top-down vorangetrieben, und Neuerungen stossen bei den Mitarbeitenden nicht immer auf Akzeptanz. Wichtig ist, den Mitarbeitenden bei der Umsetzung so viel Gestaltungsmöglichkeit wie möglich zu geben und die Motivation während der Umsetzung nicht zu verlieren. Dazu müssen wir die Mitarbeitenden während des Change begleiten und entsprechend führen. Gerade der zweite Punkt bedingt, dass in die Führungsentwicklung und in das Vorleben investiert werden muss. Und es bedeutet, dass die Change- und Kommunikationsplanung genauso wichtig ist wie die Projektplanung. Und, ganz wichtig: Talente nachziehen. Jeder Change beginnt mit den richtigen Personen in den richtigen Positionen.

Kundenzentrierung auch in der Verwaltung?

Die heutige analoge Verwaltung funktioniert gut: Die Prozesse sind grundsätzlich zuverlässig und für viele Bürgerinnen und Bürger zufriedenstellend. Wie schafft man da den Schritt zur digitalen Verwaltung?
Wir sind auch der Meinung, dass die Schweizer Verwaltung alles in allem einen sehr guten Job macht. Teilweise fehlt wohl noch die Kundenzentrierung. Die verschiedenen Anspruchsgruppen müssen besser einbezogen und gefragt werden, was sie wirklich wollen und brauchen. Eine Digitalisierung am Bürger oder an der Bürgerin vorbei führt zu unnötigem Aktionismus. Und das will niemand. Wenn es uns gelingt, die Bürgersicht besser in die Digitalisierungsprojekte zu integrieren, dann steigert das auch die Sinnhaftigkeit und damit die Motivation und das Commitment der Mitarbeitenden. In der Privatwirtschaft ist die Nutzung von digitalen Dienstleistungen längst zum Standard geworden: Ob bei der Krankenkasse, beim Online-Banking oder bei Einkäufen, wir alle setzen für private Angelegenheiten auf zahlreiche digitale Dienstleistungen. Der Wunsch nach mehr zeitlicher und örtlicher Unabhängigkeit bei der Nutzung von digitalen Dienstleistungen ist auch in der öffentlichen Verwaltung spürbar. Hier können wir sicherlich von den Erfahrungen und Erlebnissen aus der Privatwirtschaft profitieren.

Verwaltungsprozesse durch die Digitalisierung vereinfachen

Was sind die grössten Hindernisse bei der Digitalisierung öffentlicher Verwaltungen?
In der Privatwirtschaft gilt: «Alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt», während für die öffentliche Hand das Legalitätsprinzip gilt: «Was nicht explizit erlaubt ist, ist verboten». Neben einer besseren Fehlerkultur muss hier auch durch Gesetzesänderung Abhilfe geschaffen werden. Generell werden Verwaltungen bei schlechten Projekten und Fehlern viel kritischer gesehen als die Privatwirtschaft – der Vorwurf der Steuerverschwendung ist nie weit. Die Bürgerinnen und Bürger wollen ihr Steuergeld natürlich sinnvoll investiert wissen. Ein weiteres Problem sehen wir im Hang zum Perfektionismus bei Verwaltungen. Digitalisierung heisst auch entschlacken und Prozesse schlanker machen.

Beispiele für die Digitalisierung in der Verwaltung

Welche Digitalisierungsprojekte hat der Kanton Bern schon umgesetzt?
Taxme, unser digitales Steuerportal, die elektronische Umzugsmeldung, die elektronische Baubewilligung und natürlich die Umstellung auf E-Formulare sind nur einige der erfolgreichen digitalen Dienstleistungen des Kantons Bern. Wir haben aber nicht nur Projekte für die Bürgerinnen und Bürger, auch verwaltungsintern tut sich einiges. Exemplarisch seien hier zwei Projekte erwähnt: Mit «E-Dossier» digitalisieren wir die Personaldossiers und mit der Einführung von SAP per 1.1.2023 weitere interne HR-Abläufe. Durch den geplanten Employee Selfservice erhalten Mitarbeitende eine wichtige zusätzliche Dienstleistung. Leider stellen wir fest, dass die Sichtbarkeit unserer Digitalisierungsprojekte nicht immer vorhanden ist. Den Bürgerinnen und Bürgern zu zeigen, dass wir die Digitalisierung der Verwaltung vorantreiben, ist ein Punkt, den wir verbessern können.

 

ti&m special E-Government
Wie steht es um die digitale Transformation des Service public? In unserem Magazin ti&m special haben wir bei weiteren Digitalisierungsexpertinnen und -experten aus Politik und Verwaltung nachgefragt. Zum Download